SIEBENUNDZWANZIG

Es ist komisch, Damen in Englisch nicht an meiner Seite zu haben. Damen, der meine Hand hält, mir ins Ohr flüstert und als mein AUS-Schalter fungiert. Wahrscheinlich habe ich mich so sehr daran gewöhnt, ihn um mich zu haben, dass ich ganz vergessen habe, wie eklig Stacia und Honor sein können. Doch als ich sie feixen sehe, während sie sich gegenseitig SMS schicken wie Dämliche Tussi, kein Wunder, dass er abgehauen ist, weiß ich, dass ich wieder auf meine Kapuze, meine Sonnenbrille und meinen iPod angewiesen bin.

Es ist allerdings nicht so, als würde ich die Ironie in dem Ganzen nicht sehen. Es ist nicht etwa so, als würde ich den Witz nicht verstehen. Denn jemand, der auf einem Parkplatz Rotz und Wasser geheult und seinen unsterblichen Freund angefleht hat, zu verschwinden, um wieder allein sein zu können, na ja, die Pointe daran bin offensichtlich ich.

Denn jetzt, in meinem neuen Leben ohne Damen, sind all die unzusammenhängenden Gedanken, die Überfülle von Farben und Geräuschen so überwältigend, so unglaublich erdrückend, dass mir ständig die Ohren dröhnen und die Augen tränen, und die Migräneattacken so plötzlich auftreten, in meinen Kopf einfallen, meinen Körper in Beschlag nehmen und mir davon so schwindlig und übel wird, dass ich kaum in der Lage bin zu funktionieren.

Allerdings ist es komisch, ich hatte solche Hemmungen,

Miles und Haven von unserer Trennung zu erzählen, dass eine ganze Woche verging, bevor auch nur sein Name fiel. Und selbst dann war ich diejenige, die ihn erwähnte. Die beiden hatten sich wohl so an sein seltsames Verhalten gewöhnt, dass sie an seiner langen Abwesenheit in letzter Zeit nichts weiter fanden.

Eines Tages räusperte ich mich also beim Lunch, schaute von einem zum anderen und sagte: »Nur damit ihr Bescheid wisst, Damen und ich haben uns getrennt.« Und als ihnen der Mund offen stehen blieb und sie beide gleichzeitig zum Sprechen ansetzten, hob ich abwehrend die Hand und fügte hinzu: »Und er ist weg.«

»Weg?«, fragten sie, vier weit aufgerissene Augen, zwei hängende Kinnladen, beide nicht gewillt, es zu glauben.

Und obwohl mir klar war, dass sie betroffen waren, obwohl ich wusste, dass ich ihnen eine gute Erklärung schuldig war, schüttelte ich nur den Kopf und weigerte mich, mehr zu sagen.

Ms. Machado jedoch machte es mir nicht so leicht. Ein paar Tage, nachdem Damen verschwunden war, kam sie zu meiner Staffelei, gab sich alle Mühe, direkten Blickkontakt mit meiner van-Gogh-Katastrophe zu vermeiden und sagte: »Ich weiß, dass Damen und du befreundet wart, und ich weiß, dass das alles sehr schwer für dich sein muss, deshalb habe ich mir gedacht, du solltest das hier haben. Du findest es bestimmt außergewöhnlich.«

Sie hielt mir eine Leinwand hin, doch ich lehnte sie einfach ans Bein meiner Staffelei und malte weiter. Ich zweifelte nicht daran, dass das Bild außergewöhnlich war, alles, was Damen tat, war außergewöhnlich. Wenn man seit hunder-ten von Jahren durch die Welt gezogen ist, sollte man ja auch reichlich Zeit haben, sich ein paar Fertigkeiten anzueignen.

»Willst du es dir denn nicht anschauen?«, fragte Ms. Machado, verwirrt von meinem mangelnden Interesse an Damens meisterhafter Replik eines Meisterstücks.

Ich zwang mein Gesicht zu einem Lächeln, während ich antwortete: »Nein. Aber vielen Dank, dass Sie es mir gegeben haben.«

Und als es endlich klingelte, zerrte ich die Leinwand zu meinem Wagen, warf sie in den Kofferraum und knallte den Deckel zu, ohne auch nur einmal darauf zu schauen.

Und als Miles fragte: »Hey, was war denn das?«, rammte ich nur den Schlüssel ins Zündschloss und fauchte: »Nichts.«

Was ich jedoch nicht erwartet hatte, war, wie einsam ich mich fühlte. Ich hatte wohl gar nicht begriffen, wie sehr ich auf Damen und Riley angewiesen gewesen war, darauf, dass sie die Lücken füllten, all die Sprünge in meinem Leben abdichteten. Obwohl Riley mich vorgewarnt hatte, dass sie nicht mehr so oft da sein würde, geriet ich in der dritten Woche ihrer Abwesenheit unwillkürlich in Panik.

Denn Damen, meinem wunderbaren, unheimlichen, möglicherweise abgrundtief bösen, unsterblichen Freund Lebewohl zu sagen, war schwerer, als ich jemals zugeben würde. Aber Riley nicht verabschieden zu können, ist mehr, als ich ertragen kann.

 

Als Miles und Haven mich am Samstag fragen, ob ich sie auf ihre alljährliche Winter-Fantasy-Pilgertour begleiten will, sage ich Ja. Ich weiß, es wird Zeit, dass ich mal wieder rauskomme, aus dem Haus, aus meinem Tief, und mich zu den Lebenden geselle. Und da ich zum ersten Mal dabei bin, macht es ihnen Freude, mich herumzuführen.

»Es ist nicht so toll wie das Summer-Sawdust-Festival«, meint Miles, nachdem wir unsere Eintrittskarten gekauft haben und durch das Tor gehen.

»Weil's viel besser ist.« Haven hüpft voraus, dreht sich um und lächelt uns an.

Miles grinst. »Na ja, abgesehen vom Wetter ist es eigentlich egal, denn es sind beide Male Glasbläser da, und auf die stehe ich am meisten.«

»Na, so eine Überraschung«, lacht Haven und hakt sich bei Miles unter, während ich neben ihnen gehe und sich mein Kopf von all der Energie dreht, die die Menge erzeugt, von all den Farben, den Eindrücken und Geräuschen, die um mich herumwirbeln. Und mir wünsche, ich wäre vernünftig genug gewesen, zuhause zu bleiben, wo es ruhiger ist, sicherer.

Gerade habe ich meine Kapuze hochgeschlagen und bin im Begriff, mir die Knöpfe meines Kopfhörers in die Ohren zu stecken, als Haven sich zu mir umdreht und sagt: »Ist das dein Ernst? Machst du das hier wirklich?«

Ich halte inne und schiebe sie wieder in die Tasche. Denn obwohl ich alle um mich herum übertönen will, möchte ich nicht, dass meine Freunde glauben, ich wolle mich auch gegen sie abschotten.

»Komm schon, ihr müsst euch den Glasbläser anschauen, der ist echt irre«, drängt Miles und führt uns an einem ziemlich authentisch aussehenden Weihnachtsmann und etlichen Silberschmieden vorbei, ehe er vor einem Mann Halt macht, der wunderschöne bunte Glasvasen herstellt, nur mit dem Mund, einem langen Metallrohr und Feuer. »Das muss ich unbedingt auch lernen«, seufzt Miles völlig hingerissen.

Ich stehe neben ihm und sehe zu, wie der flüssige Farbenwirbel sich formt und Gestalt annimmt, dann gehe ich zum nächsten Stand, wo ein paar wirklich coole Handtaschen ausgestellt sind.

Ich nehme eine kleine braune Tasche von ihrem Bord und streiche über das butterweiche Leder. Das wäre vielleicht ein schönes Weihnachtsgeschenk für Sabine, denn so etwas würde sie sich niemals selbst kaufen, könnte es sich aber insgeheim durchaus wünschen.

»Was kostet die hier?«, erkundige ich mich und zucke zusammen, als meine Stimme in einem endlosen Echo in meinem Schädel widerhallt.

»Hundertfünfzig.«

Ich betrachte die Verkäuferin, ihren blauen Batik-Kittel, die ausgeblichenen Jeans und das silberne Peace-Zeichen, das sie um den Hals trägt, und ich weiß, dass sie bereit ist, mit dem Preis herunterzugehen, weit herunter. Aber meine Augen brennen so sehr, und das Hämmern in meinem Kopf ist so schlimm, dass ich nur noch nach Hause will.

Ich lege die Tasche zurück und will mich schon abwenden, als sie sagt: »Aber für Sie hundertdreißig.«

Obwohl mir vollkommen klar ist, dass sie immer noch hoch bietet, dass es noch jede Menge Spielraum gibt, um zu handeln, nicke ich nur und gehe weiter.

Da sagt jemand hinter mir: »Wir wissen doch beide, dass ihre absolute Untergrenze bei fünfundneunzig liegt. Warum gibst du also so schnell auf?«

Ich drehe mich um und sehe eine zierliche Frau mit kastanienbraunem Haar vor mir, die von einer strahlenden violetten Aura umgeben ist.

»Ava.« Sie nickt und streckt mir die Hand entgegen.

»Ich weiß«, erwidere ich und ignoriere ihre Hand demonstrativ.

»Wie geht es dir?«, fragt sie lächelnd, als hätte ich nicht gerade etwas extrem Kaltes, Unhöfliches getan, woraufhin ich deswegen ein noch schlechteres Gewissen habe.

Ich zucke die Achseln und blicke rasch zu dem Glasbläser hinüber, halte Ausschau nach Miles und Haven und verspüre die ersten Anzeichen der Panik, als ich sie nicht sehe.

»Deine Freunde stehen bei Laguna Taco an. Aber keine Angst, sie bestellen für dich mit.«

»Ich weiß«, sage ich, obwohl das nicht stimmt. Mein Kopf tut viel zu weh, um irgendjemanden zu lesen.

Und als ich wieder weitergehen will, packt sie mich am Arm und sagt: »Ever, mein Angebot steht noch, ich möchte, dass du das weißt. Ich würde dir wirklich gern helfen.« Sie lächelt.

Mein erster Impuls ist, mich loszumachen, mich so weit wie möglich von ihr zu entfernen, doch in dem Augenblick, als sie die Hand auf meinen Arm gelegt hat, hat mein Kopf aufgehört zu hämmern, in meinen Ohren dröhnt es nicht länger, und meine Augen produzieren keine Tränen mehr. Doch dann sehe ich ihr in die Augen, und mir fällt wieder ein, wer sie ist - diese grauenhafte Frau, die mir meine Schwester gestohlen hat. Ich kneife die Augen zusammen, reiße meinen Arm los und funkele sie wütend an. »Finden Sie nicht, dass Sie schon genug geholfen haben?« Ich presse die Lippen zusammen. »Sie haben mir doch schon Riley gestohlen, was wollen Sie also noch?« Ich schlucke schwer und gebe mir Mühe, nicht zu weinen.

Sie zieht besorgt die Brauen zusammen; ihre Aura ist ein wunderschönes violettes Leuchtfeuer. »Riley hat niemals irgendjemandem gehört. Und sie wird immer bei dir sein, auch wenn du sie nicht sehen kannst«, sagt sie und streckt abermals die Hand nach meinem Arm aus.

Aber ich weigere mich, ihr zuzuhören. Und ich weigere mich, mich noch einmal von ihr anfassen zu lassen, ganz gleich, wie beruhigend ihre Berührung ist. »Gehen ... halten Sie sich einfach aus meinem Leben raus«, sage ich und weiche zurück. »Lassen Sie mich einfach in Ruhe. Riley und ich sind prima zurechtgekommen, bis Sie aufgetaucht sind.«

Aber sie geht nicht. Sie geht nirgendwohin. Sie bleibt einfach da und sieht mich auf diese grässliche, nervtötende, sanfte und mitfühlende Art an. »Ich weiß von den Kopfschmerzen«, flüstert sie, und ihre Stimme klingt leicht und tröstlich. »Du brauchst nicht so zu leben, Ever. Wirklich, ich kann dir helfen.«

Obwohl ich liebend gern eine Auszeit von all dem Lärm und all dem Schmerz nehmen würde, mache ich auf dem Absatz kehrt, renne davon und hoffe, dass ich sie nie wieder sehe.

 

»Wer war denn das?«, will Haven wissen und tunkt ein Tortillachip in eine Schale mit Salsa, während ich mich achselzuckend neben sie setze.

»Niemand«, flüstere ich und krümme mich innerlich, als das Wort in meinen Ohren widerhallt.

»Sieht aus wie diese Hellsehertussi von der Party.«

Ich strecke die Hand nach dem Teller aus, den Miles mir hinschiebt, und greife nach einer Plastikgabel.

»Wir wussten nicht, was du möchtest, also haben wir von allem etwas geholt«, sagt er. »Hast du eine Tasche gekauft?«

Ich schüttele den Kopf und bereue es augenblicklich, denn das Hämmern wird dadurch nur schlimmer. »Zu teuer«, sage ich und halte beim Kauen die Hand vor den Mund; das Knirschen hallt so stark wider, dass mir Tränen in die Augen steigen. »Hast du eine Vase gekauft?« Doch ich weiß schon, dass er das nicht getan hat, und zwar nicht, weil ich hellsehen kann, sondern weil er keine Tüte bei sich hat.

»Nein, ich schaue ihnen nur gern beim Blasen zu.« Er lacht und trinkt einen Schluck.

»Hey, wartet mal, psst, ist das mein Handy?« Haven wühlt in ihrer riesigen, übervollen Handtasche, die ihr oft auch als Kleiderschrankersatz dient.

»Na ja, da du als Einzige hier am Tisch einen Klingelton von Marilyn Manson hast...« Miles zuckt die Achseln, lässt sein Taco liegen und isst nur das Innere.

»Keine Kohlenhydrate?«, frage ich und sehe zu, wie er an seinem Essen herumpickt.

Er nickt. »Nur weil Tracy Turnblad fett ist, heißt das ja noch lange nicht, dass ich dick sein muss.«

Ich trinke einen Schluck Sprite und sehe Haven an. Und als ich ihre entzückte Miene sehe, weiß ich es.

Sie wendet sich von uns ab, hält sich das andere Ohr zu und sagt: »O mein Gott! Ich hab echt gedacht, du wärst weg ... Ich bin hier draußen mit Miles ... ja, Ever ist auch da ... ja, sie sind beide hier ... okay.« Sie hält das Handy mit der Hand zu und dreht sich mit leuchtenden Augen zu uns um. »Schöne Grüße von Drina!« Dann wartet sie darauf, dass wir zurückgrüßen. Als wir es nicht tun, verdreht sie die Augen, steht auf und geht ein Stück weg, während sie sagt: »Schönen Gruß zurück.«

Kopfschüttelnd sieht Miles mich an. »Ich hab nicht gegrüßt. Hast du gegrüßt?« Ich hebe die Schultern an und verrühre Bohnen und Reis.

»Das gibt Arger«, bemerkt er und schaut Haven nach.

Obgleich ich spüre, dass das stimmt, überlege ich dennoch, was genau er damit meint. Denn die Energie hier brodelt und wallt wie eine riesige kosmische Suppe, zu verklumpt, um hindurchzuwaten oder zu versuchen, mich darauf einzustimmen. »Wie meinst du das?«, frage ich und kneife die Augen gegen das helle Licht zusammen.

»Diese Freundschaft hat ganz einfach etwas so ... Unheimliches an sich. Ich meine, eine harmlose Mädchenschwärmerei ist eine Sache. Aber das hier - das ergibt einfach keinen Sinn. Echt supergruselig.«

»Inwiefern gruselig?« Ich reiße ein Stück von meiner Tacoschale ab und schaue ihn an.

Er lässt den Reis liegen und hält sich an die Bohnen. »Ich weiß, dass sich das total ätzend anhört, und glaub mir, das soll es nicht, aber es ist fast so, als ob sie Haven zu einem Akolythen macht.«

Ich ziehe die Augenbrauen hoch.

»Zu einem Jünger, einer Gefolgsfrau, einem Klon, einem Mini-Ich. Und das ist einfach so ...« »Gruselig«, helfe ich ihm aus.

Er trinkt einen Schluck und schaut zwischen Haven und mir hin und her. »Schau dir doch an, wie sie sich seit Neuestem genauso anzieht wie sie, die Kontaktlinsen, die Haarfarbe, das Make-up, die Klamotten. Sie benimmt sich auch so wie sie - oder sie versucht es zumindest.«

»Ist es nur das, oder ist da noch was anderes?«, frage ich und überlege, ob er irgendetwas Spezifisches weiß oder ob es nur eine allgemeine Vorahnung eines Verhängnisses ist.

»Brauchst du etwa noch mehr?« Ungläubig starrt er mich an.

Ich zucke die Achseln und lasse den Taco auf meinen Teller fallen; ich habe keinen Hunger mehr.

»Aber mal ganz unter uns, diese Sache mit dem Tattoo, das verlagert das Ganze auf eine völlig neue Ebene. Ich meine, was zum Geier?«, flüstert er und wirft rasch einen Blick zu Haven hinüber, vergewissert sich, dass sie ihn nicht hören kann. »Was soll das Ding überhaupt bedeuten?« Er schüttelt den Kopf. »Ich meine, okay, ich weiß, was es bedeutet, aber was bedeutet es für diese Typen? Ist das der letzte Schrei für Vampire? Denn Drina ist ja nicht gerade gothic. Ich bin mir nicht sicher, was sie darstellen will, mit ihren maßgeschneiderten Lady-Kleidern aus Seide und mit zu den Schuhen passenden Handtaschen? Ist das ein Kult? Irgendein Geheimbund? Und fang bloß nicht mit dieser Infektion an. Wi-der-lich. Und übrigens auch nicht ganz so normal, wie sie glaubt. Wahrscheinlich war sie deshalb so krank.«

Ich presse die Lippen aufeinander und starre ihn an; ich weiß nicht recht, was ich antworten, wie viel ich ihm anvertrauen soll. Und wundere mich trotzdem, warum ich so wild entschlossen bin, Damens Geheimnisse zu bewahren - Geheimnisse, die dem Wort gruselig eine ganz neue Gewichtung verleihen. Geheimnisse, die, wenn ich recht darüber nachdenke, nichts mit mir zu tun haben. Doch ich zögere zu lange, und Miles quasselt weiter und sorgt so dafür, dass die Kammer der Geheimnisse verschlossen bleibt, zumindest für heute.

»Das Ganze ist einfach so ... ungesund.« Er schaudert.

»Was ist ungesund?«, fragt Haven, plumpst neben mir auf die Bank und lässt ihr Handy wieder in ihre Handtasche fallen.

»Sich nach dem Pinkeln nicht die Hände zu waschen«, witzelt Miles.

»Und darüber habt ihr euch unterhalten?« Sie mustert uns misstrauisch. »Das soll ich glauben?«

»Wenn ich's dir sage, Ever weigert sich einfach, Seife zu benutzen, und ich hab gerade versucht, sie vor den Gefahren zu warnen, denen sie sich aussetzt. Uns alle.« Kopfschüttelnd sieht er mich an.

Ich rolle die Augen, und mein Gesicht läuft rot an, obwohl das überhaupt nicht stimmt. Und sehe zu, wie Haven in ihrer Tasche wühlt, an verirrten Lippenstiften, einem schnurlosen Lockenstab und Pfefferminzbonbons vorbei (von denen das Papier schon lange abgefallen ist), ehe sie auf einen kleinen silbernen Flachmann stößt. Sie schraubt den Verschluss ab und schüttet jedem von uns einen ordentlichen Schuss einer durchsichtigen Flüssigkeit in den Becher.

»Nun, das ist ja alles sehr erheiternd, aber es ist eindeutig klar, dass ihr über mich geredet habt. Aber wisst ihr was? Ich bin so verdammt glücklich, dass mir das vollkommen egal ist.« Sie lächelt.

Ich greife nach ihrer Hand, entschlossen, sie daran zu hindern, das Zeug in unsere Becher zu kippen. Seit dem Abend, an dem ich mir im Cheerleader-Camp die Seele aus dem Leib gekotzt habe, weil ich mehr als meinen gerechten Anteil aus der verbotenen Flasche getrunken hatte, die Rachel in unsere Hütte geschmuggelt hatte, habe ich Wodka abgeschworen. Doch in dem Augenblick, in dem ich sie berühre, überkommt mich schreckliche Angst: Ich sehe einen Kalender vor mir, und der 21. Dezember ist rot umkringelt.

»Herrgott, jetzt entspann dich mal. Sei doch nicht immer so verkrampft. Leb mal ein bisschen, okay?« Kopfschüttelnd verdreht sie die Augen. »Wollt ihr mich nicht fragen, warum ich so glücklich bin?«

»Nein, weil ich weiß, dass du es uns sowieso erzählen wirst.« Miles wirft seinen Teller weg, nachdem er alles Protein vertilgt und den Rest für die Tauben liegen gelassen hat.

»Du hast Recht, Miles, du hast vollkommen Recht.

Obwohl's ja immer nett ist, wenn man gefragt wird. Jedenfalls war das Drina. Sie ist immer noch in New York, macht gerade 'ne Mega-Einkaufstour. Sie hat sogar einen Haufen Sachen für mich gekauft, ist das zu fassen?« Mit weit aufgerissenen Augen sieht sie uns an, aber da wir nicht reagieren, zieht sie eine Grimasse und fährt fort. »Jedenfalls, sie lässt grüßen, auch wenn ihr euch nicht die Mühe gemacht habt, zurückzugrüßen. Und glaubt ja nicht, sie wüsste das nicht«, knurrt sie und mustert uns finster. »Sie kommt bald zurück, und sie hat mich gerade zu so einer total coolen Party eingeladen, und ich kann's ja so was von nicht erwarten.«

»Wann?«, frage ich und gebe mir Mühe, nicht so erschrocken zu klingen, wie mir zu Mute ist. Innerlich frage ich mich, ob diese Party womöglich am 21. Dezember stattfindet.

Doch sie lächelt nur und schüttelt den Kopf. »Tut mir leid, das sage ich nicht. Ich hab's versprochen.«

»Warum denn?«, wollen Miles und ich gleichzeitig wissen.

»Weil das 'ne superexklusive Sache ist, nur mit Einladung, und die wollen nicht, dass da ein Haufen Leute aufkreuzt, die nicht eingeladen sind.«

»Und für so was hältst du uns also? Für Party-Crasher?«

Haven nimmt einen großen Schluck aus ihrem Becher.

»Also, das ist einfach nicht richtig.« Miles schüttelt den Kopf. »Wir sind deine besten Freunde, also bist du gesetzlich verpflichtet, es uns zu sagen.«

»Aber nicht das«, wehrt Haven ab. »Ich habe mich zur Geheimhaltung verpflichtet. Nehmt einfach nur zur Kenntnis, dass ich mich so freue, dass ich platzen könnte!«

Ich betrachte sie, wie sie da vor mir sitzt, das Gesicht von einer Glückseligkeit gerötet, die mich nervös macht, doch mein Kopf schmerzt so sehr, und meine Augen tränen wie wild, und ihre Aura ist so sehr mit allen anderen verschmolzen, dass ich nichts erkennen kann.

Ich trinke einen Schluck und habe den Wodka vergessen, bis eine Spur aus brennender Flüssigkeit sich meine Kehle hinunterzieht, in meinem Blutstrom kreist und in meinem Kopf alles schwanken lässt.

»Bist du immer noch krank?« Haven wirft mir einen besorgten Blick zu. »Du solltest es lieber ruhig angehen lassen. Vielleicht bist du ja noch nicht ganz drüber weg.«

»Worüber?« Blinzelnd trinke ich noch einen Schluck, und dann noch einen, jedes Mal werden meine Sinne ein kleines bisschen abgestumpfter.

»Diese Fiebertraum-Grippe! Weißt du noch, wie du in der Schule ohnmächtig geworden bist? Ich habe dir doch gesagt, diese ganze Nummer mit dem Schwindligsein, und dass einem schlecht ist, das ist nur der Anfang. Aber versprich mir, dass du's mir erzählst, wenn du auch diese Träume kriegst, denn die sind echt irre.«

»Was denn für Träume?«

»Hab ich dir das nicht erzählt?«

»Nicht im Detail.« Abermals trinke ich einen kleinen Schluck und merke, dass mein Kopf sich zwar benommen, aber irgendwie klar anfühlt, all die Visionen, die zusammenhanglosen Gedanken, die Farben und Geräusche schrumpfen plötzlich und vergehen.

»Die waren total abgefahren! Und sei nicht sauer, doch Damen ist in ein paar davon vorgekommen, aber es ist nichts passiert. Solche Träume waren das nicht. Es war mehr so, als würde er mich retten, als würde er gegen so finstere Mächte kämpfen, um mir das Leben zu retten. So was von bizarr.«

 

Sie lacht. »Ach, da wir gerade von Damen sprechen. Drina hat Damen in New York gesehen.«

Ich starre Haven, an und mein Körper wird eiskalt, trotz des Alkohols, der mein Inneres wärmt. Als ich noch einen Schluck trinke, verschwindet die Kälte und nimmt meinen Schmerz und meine Angst mit.

Also trinke ich noch einmal.

Und noch einmal.

Dann sehe ich sie blinzelnd an und frage: »Wieso hast du mir das jetzt gerade erzählt?«

Doch Haven zuckt nur mit den Schultern. »Drina wollte einfach, dass du es weißt.«